der Wolt im Schafspelz


Die neue Konkurrenz im Plattformlieferdienst war mit Spannung erwartet, und seit Anfang Mai sehen wir blaue Wolt-Rider mit kubischen Rucksäcken durch Wien fahren. Wir haben davor schon die Proteste und Streiks in unseren Nachbarländern verfolgt und festgestellt, dass - egal ob grün oder blau - wir uns wohl ärgern werden. Die Frage war nur, wie lange es dauern wird, bis Rider auch bei uns protestieren. Es hat nicht lange gedauert.

Aber eins nach dem anderen. Wer ist Wolt? Was bietet dieses Unternehmen für Rider? Warum protestieren und streiken die Rider in allen Ländern?
Wolt kommt aus Finnland, ist mit Gründungsjahr 2014 so alt wie foodora, hat über die Jahre in Skandivien, den baltischen Staaten und Osteuropa, und Deutschland Fuß gefasst und ist mittlerweile in 25 Ländern weltweit aktiv. Seit 2022 gehört es zum amerikanischen Konzern Doordash. Dieser gilt als sehr finanzstark und erfolgreich, ist allerdings auch nicht profitabel - wie keines der Plattformunternehmen. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Überall wo Wolt eintritt, erobert es im Sturm den Markt. Ob sie das in Österreich auch schaffen, bleibt abzuwarten, bisher haben sich neue Mitbewerber nicht lange hier gehalten. UberEATS, wo nur selbständige Rider beschäftigt waren, hat Österreich 2018 nach nur einem Jahr wieder verlassen. Ebenso ist es Jokr oder Flink ergangen, wo die Rider angestellt waren. Es liegt also wohl nicht an den Arbeitsverhältnissen, wenn Unternehmen wieder abwandern, sondern vielleicht daran, dass der Markt gesättigt ist.
Wolt will aber offenbar gar nicht nur Mjam und Lieferando Konkurrenz machen, sondern auch Amazon. Nicht nur Speisen und Lebensmittel, sondern nach und nach Waren aller Art sollen geliefert werden. Dabei will Wolt „nachhaltig wachsen“ und „Verantwortung übernehmen“.

Der Wolt im Schafspelz?

Wie sind nun die Arbeitsbedingungen bei Wolt, dass die Rider in Wien nach kaum 2 Wochen schon vor der Wolt-Zentrale aufmarschieren, um ihren Unmut kundzutun?

Wie jedes neue Plattformunternehmen, das den österreichischen Markt betritt, lockt auch Wolt mit überdurchschnittlicher Bezahlung: mindestens 13,50 € / Stunde werden den Ridern versprochen. Wolt ist aber in keinem Land dafür bekannt, Rider anzustellen oder auf Dauer überdurchschnittliche Stundenlöhne zu zahlen. Eher läuft die Bezahlung für den einzelnen Rider in unvorhersehbaren Summen pro Bestellung ab, und man kann sich einloggen wann man will. Der Lohn für eine Bestellung richtet sich nach der Distanz, der Größe der Bestellung, der Lage vom Restaurant, der Tageszeit und dem Wetter. Damit geht es indirekt auch nach Anzahl der verfügbaren Rider, oder auch nach Auftragslage, denn das Wetter und die Tageszeit, bzw. der Wochentag haben natürlich Einfluss darauf, wieviele Bestellungen es gibt und wie viele Rider sich arbeitsbereit erklären.
Weitere Möglichkeiten wonach die Preise variieren könnten, sieht man etwa bei Uber bzw. bei UberEATs, wo sich die einzelnen Bestellungen plötzlich lukrativer gestalten könnten, wenn man nicht jeden dahergelaufenen Auftrag annimmt.

Das Beschäftiungsverhältnis bei Wolt ist entweder Selbständig mit Gewerbeschein oder ein Freies Dienstverhältnis. Auf den Jacken und Rucksäcken steht daher „Wolt Partner“ - denn man arbeitet mit Wolt und nicht für Wolt. Wie alle Plattformbetreiber versteht sich Wolt ja selbst in erster Linie als Tech-Unternehmen und nicht als Lieferdienst. Wie bei den meisten Plattformen gibt es aber relativ genaue, gern als „Tipps“ getarnte Anweisungen, wie man sich als Partner:in zu verhalten hat. Es ist eine sehr unausgewogene Partner:innenschaft.
So stellt dein Partner Wolt also die Regeln auf, dass du nicht zuhause oder am Rand des Liefergebiets sitzen darfst, sondern dort sein musst, wo die höchste Konzentration von Restaurants ist. Du musst unabhängig der Wetterbedingungen 100% verfügbar sein, wenn du eine Schicht gebucht hast. Du musst die Uniform tragen. Außerdem musst du immer einen externen Akku dabei haben und jede Bestellung innerhalb der Garantiezeit annehmen, also bis zur letzten Minute deiner Schicht. Wenn du nicht mindestens 85% deiner Aufträge animmst, kann das Konsequenzen haben: Es gibt Strafen in 5 verschiedenen Stufen, von schriftlichen Verwarnungen bis hin zum dauerhaften Ausschluss von der Schichtbuchung. Das klingt alles eigentlich mehr nach einem normalen Dienstvertrag, wo ein Betriebsrat erst solchen Disziplinarmaßnahmen zustimmen müsste, und keinem Freien Dienstvertrag, wo solche einseitigen Verbindlichkeiten nicht vorgesehen sind und die einzelnen Rider auch wenig Verhandlungsmacht dagegen haben.

Wolt ihr das wirklich? #ReWolt !


Doch nicht (nur) wegen dieser Regeln haben etwa 30-40 Rider vor der Wolt Zentrale in Wien protestiert. Das Unternehmen hatte zwar angekündigt, die angebotenen Schichten zu reduzieren, doch dabeiauch gleich die bereits geplanten Schichten der Rider gelöscht. Das Einkommen für die Arbeitszeit, die die Rider mit Wolt also durch die Schichtplanung vereinbart hatten, geht ihnen also nun verloren. Betroffene Rider mit Freiem Dienstvertrag könnten sich aber an die Arbeiterkammer wenden, ob sie nicht dennoch für diese Schichten vergütet werden müssen.

Die Wolt-Rider, die man seit Anfang Mai durch die Stadtradeln sieht, fahren oft mit leeren Rucksäcken, denn es gibt noch zu wenige Bestellungen. Sie bekommen Anweisung, dass sie nicht herumsitzen dürfen, sondern unterwegs sein sollen. Das ist natürlich aus Geschäftssicht sinnvoll, aber mit dem Modell der Selbständigkeit passen solche Anweisungen nicht zusammen.

Dass das versprochene überdurchschnittliche Stundenhonorar für 200 Rider, die kaum etwas zu liefern haben, sich nach kurzer Zeit als teuer erweist, ist zwar nachvollziehbar, aber nach Markteintritten in 25 Ländern ist dieser plötzliche Sinneswandel nicht etwa als Anfängerfehler entschuldbar.

Man kann sich bei Wolt aber auch einfach einloggen, also ohne eine geplante Schicht arbeiten, pro Bestellung bezahlt werden und Bestellungen auch ablehnen. Das setzt Rider miteinander in Konkurrenz. Auch in solchen Modellen gibt es Proteste: Seit der Einführung von "dynamischer Preisgestaltung" demonstrieren Kolleg:innen in Dänemark, Tschechien, Slowenien, Serbien, Griechenland und Georgien gegen intransparente Bezahlung und Auftragsvergabe, sinkendem Kilometergeldern, einhergehenden Einkommensrückgang. In vielen Ländern wird auch die Forderung nach Tarifverträgen laut.

Auch ist nicht in Stein gemeißelt, dass mit der Möglichkeit zu Arbeiten wann man will und Aufträge auszuwählen, eine Selbständigkeit gerechtfertigt ist. Die dänische Steuerbehörde will Wolt Rider als Arbeitnehmer:innen klassifizieren.
Insgesamt agiert die Plattform wie jede andere: Sie trifft Entscheidungen und die „Partner“ haben dabei nicht mitzureden, aber müssen damit arbeiten. Wenn sich weltweit in unterschiedlichen Ländern „selbständige“ Dienstleister:innen organisieren um gegen die Bestimmungen ihrer Plattform aufzustehen, legt das nahe, das tatsächliche Beschäftigungsverhältnis zu hinterfragen.

Es bleibt spannend, wie sich die Dinge entwickeln werden.